WOLTMANN TRIFFT WILHELM VON BODDIEN
Wie der Eigentümer der KPM Berlin, Jörg Woltmann, hat auch Wilhelm von Boddien eine Leidenschaft für alte Kulturgüter und die preußische Geschichte. Mit seinem Förderverein ermöglichte er den Wiederaufbau des Berliner Schlosses. Ein Gespräch aus unserem WEISS Kundenmagazin No. 4 über Wagnisse, die es sich lohnt einzugehen, und Spuren, die wir im Leben hinterlassen.
JÖRG WOLTMANN: Lieber Herr von Boddien, es war für mich faszinierend zu beobachten, wie Sie sich in den vergangenen 30 Jahren dafür eingesetzt haben, dass das Berliner Schloss in seiner alten Pracht wieder aufgebaut wird. Über 100 Millionen Euro Spenden konnten Sie inzwischen sammeln. Was hat Sie angetrieben?
WILHELM VON BODDIEN: Ich habe mich 1961 in die Idee verliebt, das Schloss zurückzuholen. Damals war ich 19 Jahre alt und besuchte Ostberlin. Ich stand auf dem Aufmarschplatz, wo sich einst das Berliner Schloss befand und später der Palast der Republik errichtet wurde. Diese Tristesse dort hat mich umgehauen. Vor der Wiedervereinigung hatte ich das Schloss bereits als Hobby, ein sehr intensives Hobby: An den Wochenenden gab es das Mittagessen bei uns zu Hause nur in der Küche, weil der Esstisch mit Alben und Bildern vom Schloss voll belegt war, und ich mich weigerte, diese wegzuräumen.
Jörg Woltmann und Wilhelm von Boddien in der historischen Ringkammerofenhalle der KPM Berlin.
JÖRG WOLTMANN: Wenn man sich passioniert für eine Sache einsetzt, so wie Sie sich für das Berliner Schloss und ich mich für die Königliche Porzellan-Manufaktur, dann muss die Familie mitziehen. Als ich die KPM kaufte, sagte meine Frau: Wenn du meinst, dass es gut für dich und für Berlin ist, dann mache es. Sie kennt mich lange genug, um zu wissen, dass ich mich nur schwer von etwas abhalten lasse. Wie war es bei Ihnen?
WILHELM VON BODDIEN: Auch meine Frau weiß, dass ich durchziehe, was ich anfange. Und sie stand bei diesem Projekt immer hinter mir. Unsere Kinder allerdings haben mich anfangs verspottet: „Du mit deinem blöden Schloss.“ Aber als sie die Schlosssimulation, die wir 1994 errichtet haben, zum ersten Mal sahen, sagten sie plötzlich: „Vielleicht hat Papa doch recht.“ Das hat sehr gutgetan.
JÖRG WOLTMANN: Die Simulation aus Stoffbahnen hat viele Zweifler von dem Projekt überzeugt.
WILHELM VON BODDIEN: Ja, sie hat den Menschen gezeigt, wie schön die Stadt mit dem Schloss werden kann. Aber diese Attrappe hat mir auch schlaflose Nächte bereitet. Um sie zusammen mit einer Ausstellung im Inneren überhaupt errichten zu können, musste ich sofort 300.000 D-Mark investieren, um die Handwerker bezahlen zu können. Der Förderverein hatte aber überhaupt kein Geld und war deswegen auch nicht kreditwürdig. Ich unterschrieb bei der Bank eine sofort vollstreckbare, selbstschuldnerische persönliche Bürgschaft. Meiner Frau habe ich damals nichts davon erzählt. Drei unserer fünf Kinder waren gerade im Studium und ein Mittelständler wie ich hat nicht so viel Geld. Meine Frau wunderte sich also, dass ich manchmal nachts senkrecht im Bett saß und dummes Zeug redete – sie wusste nicht, worüber. Im Nachhinein hat sie mir das alles verziehen und mich unterstützt, wo sie konnte. Ich habe in dieser Zeit gelernt, wie breit die Schultern von Frauen sein können, wenn man sich anlehnen und ausheulen möchte.
JÖRG WOLTMANN: Ein altes Kulturgut retten zu wollen, ist ein Wagnis.
WILHELM VON BODDIEN: Ja, und man muss sagen, dass wir beide eine fast aussichtslose Sache gestartet haben. Ich kenne die wundervolle Institution KPM bereits seit Senatszeiten. Wenn ich bei einem offiziellen Essen in Berlin war, dann wurde stets auf KPM Geschirr serviert. Aber die Manufaktur lag am Boden. Es gab eine Experimentierphase von sechs, sieben Jahren, in der die KPM immer wieder vor der Insolvenz stand. Und dann traten Sie auf und haben für mich die größte missionarische Tat vollbracht: Sie haben diese preußische Ikone gekauft und wieder nach vorne gebracht. Und das mit Stil und einer bewundernswerten Passion. Sie haben die KPM aus eigener Tasche bezahlt. Weil Sie der Gesellschaft etwas zurückgeben wollten. Das ist eine Größe, die heute selten geworden ist.
WILHELM VON BODDIEN Geb. 1942 in Stargard in Pommern. Nach dem Abitur machte von Boddien eine kaufmännische Lehre und trat in die Firma seines Vaters in Bargteheide ein. 1992 gründete er den Förderverein Berliner Schloss e.V., der sich für die Rekonstruktion des Schlosses auf der Spreeinselengagiert. 1993/1994 veranstaltete er die Ausstellung „Das Schloss?“ und ließ eine Simulation an dessen altem Platz errichten. 2004 übernahm er die Geschäftsführung des Vereins. Von Boddien lebt in Hamburg und ist Träger des Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse.
JÖRG WOLTMANN: Zum Glück gab es in den vergangenen Jahren nicht nur schlaflose Nächte, sondern auch unzählige schöne Momente. Ein besonderer Augenblick war für mich zum Beispiel, als der chinesische Ministerpräsident mit Angela Merkel die KPM besuchte und ich ihm die Manufaktur zeigen konnte. Obwohl Porzellan ja ursprünglich aus China kommt, war er sehr beeindruckt von der Geschichte der KPM und von dem, was diese Manufaktur in Berlin geschaffen hat. Was war für Sie ein besonderer Glücksmoment?
WILHELM VON BODDIEN: Als ich am 4. Juli 2002 im Reichstagsgebäude saß und der Bundestag endgültig entschied, dass das Schloss gebaut wird. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse und Norbert Lammert, der spätere Bundestagspräsident, haben neben anderen Politikern damals bewegende Reden gehalten. Danach fand die Abstimmung statt und quer über alle Parteien kam eine Zweidrittelmehrheit zustande. Da wusste ich: Jetzt haben wir es geschafft. Der Rest war nur der Kampf ums Geld, und den konnten wir dann ja auch gewinnen.
JÖRG WOLTMANN: Mit dem Schloss bauen Sie nicht nur ein wunderschönes Gebäude wieder auf und unser KPM Geschirr ist nicht nur Design. Wir sind uns einig, dass es wichtig ist, diese historischen Kulturgüter zu retten und an die nächste Generation weiterzureichen.
JÖRG WOLTMANN Geb. 1947 in Berlin. Nach dem Abitur absolvierte er eine Lehre zum Bankkaufmann und studierte Betriebswirtschaftslehre in Berlin. 1979 gründete Woltmann die Privatbank ABK Allgemeine Beamten Bank. Im Februar 2006 übernahm er als Alleingesellschafter die Königliche Porzellan-Manufaktur Berlin. Woltmann ist Träger des Bundesverdienstkreuzes am Bande und wurde 2015 mit dem Verdienstorden des Landes Berlin ausgezeichnet.
WILHELM VON BODDIEN: Wer Kinder erzieht, muss ihnen Wurzeln geben, damit ihnen Flügel wachsen. Wir haben im Augenblick eine entwurzelte Gesellschaft. Alles wird infrage gestellt. Das Internet hat im Gegensatz zu den analogen Medien keine Regeln mehr. Umso wichtiger ist es, den Menschen, die Halt suchen, Halt zu geben. Dazu gehört auch eine Rückbesinnung auf die positiven Teile unserer Vergangenheit, die wir ja auch haben. Wenn wir dies nicht tun, dürfen wir uns nicht wundern, wenn junge Leute keine Basis mehr finden, wenn sie sich falsche Vorbilder suchen. Und dann fahren wir die Kiste hier an die Wand.
JÖRG WOLTMANN: Ich hatte bereits mehrfach die Ehre und die Freude, das Berliner Schloss zu besuchen. Es war sehr beeindruckend. Alle, die gezweifelt haben, werden begeistert sein. Und ich bin stolz, dass KPM ein Teil davon sein darf.
WILHELM VON BODDIEN: Gleich in der Eingangshalle werden die Großspender mit einer Tafel geehrt, in der ein 30 Zentimeter großes Medaillon aus Porzellan eingelassen ist. Es zeigt ein Profilrelief des Spenders in der Seitenansicht. Diese Medaillons werden gerade modelliert und von der KPM Berlin in Biskuitporzellan gebrannt. Damit finden sich die Großspender in dem einmaligen Gebäude wieder, für das sie sich engagiert haben. Eine höchst aufregende und vor allem anregende Angelegenheit, die den Spendenerfolg beflügelt hat. Jeder Mensch möchte in seinem Leben schließlich gern eine Spur hinterlassen.
JÖRG WOLTMANN: Durch Corona hat sich die offizielle Schlosseröffnung verschoben. Gibt es bereits einen neuen Termin?
WILHELM VON BODDIEN: Leider nicht. Es kam zu Bauverzögerungen und die Museen konnten noch nicht einziehen. Geplant ist nun erst einmal ein sogenanntes Soft Opening im Dezember. Wir öffnen ohne großes Brimborium. Im nächsten Sommer wollen wir dann mit der Bundeskanzlerin und dem Bundespräsidenten eine feierliche Eröffnung veranstalten. Ob das alles so klappt, kann Ihnen aber niemand verbindlich sagen, da es sich dabei ja um eine Großveranstaltung handeln würde. Aber Corona hatte auch einen Vorteil. Ich konnte noch länger Spenden sammeln.
Text: Sandra Winkler
Bilder: Peter Rigaud