WIE MARGUERITE FRIEDLAENDER DIE KPM PRÄGTE

Die Arbeit der BAUHAUS-Schülerin Marguerite Friedlaender katapultierte die KPM in die Gegenwart – und sorgte für eine Kehrtwende in der deutschen Porzellangeschichte.

Marguerite Friedländer für die KPM Berlin

Vor über hundert Jahren revolutionierte das Bauhaus die Designwelt. Es setzte der überbordenden floralen Ornamentik des Jugendstils etwas Neues entgegen. Man entwarf nun im Stil der Neuen Sachlichkeit und im Sinne der Funktionalität – zeitlose, klare und geradlinige Häuser, Möbel aus kühlem Stahlrohr, Objekte in Primärfarben. Es herrschte kreative Aufbruchstimmung. Auch bei der KPM, die damals staatliche Porzellan-Manufaktur Berlin hieß. 1929 trat ihr neuer Direktor, Günther von Pechmann, als Visionär seine Arbeit an. Der studierte Volkswirt und Mitglied des Deutschen Werkbundes stellte die Produktpalette der traditionellen Berliner Manufaktur unter dem Slogan „Porzellan für die neue Wohnung“ um. Das Porzellan sollte untereinander kombinierbar sein und so zur neuen Architektur, zur neuen Art der Einrichtung und zu den neuen Bedürfnissen der modernen Küchen passen.

Damit ging die Berliner Manufaktur als Vorreiter ganz neue konzeptionelle Wege. Denn in der deutschen Porzellanindustrie war von der Aufbruchstimmung des Bauhauses bis dato kaum etwas zu spüren gewesen. Traditionell blieb das Erscheinungsbild von Tellern, Tassen und Teeservicen auch noch in den 1920er-Jahren. Wenn es ums Porzellan ging, blieb man lieber beim guten Alten. Tafelgeschirr war ein Statussymbol, nahezu ungebrochen gaben ornamentale Relief-Dekore und Blumenmuster den Ton an.

Für seine geplante Modernisierung der KPM suchte sich Günther von Pechmann einen geeigneten Partner. Gleich nach seinem Amtsantritt initiierte er eine Zusammenarbeit mit der Burg Giebichenstein in Halle, eine Kunstgewerbeschule, an der vornehmlich ehemalige Bauhaus-Schüler lehrten – so wie Marguerite Friedlaender.

Die Tochter eines jüdisch-deutschen Seidenfabrikanten und einer Engländerin hatte ihre Ausbildung am staatlichen Bauhaus gemacht und danach mit Gerhard Marcks und Max Krehan in der dazugehörenden Keramikwerkstatt in Dornburg gearbeitet.

1925 wechselte sie mit Marcks zur Burg Giebichenstein, wo sie die Keramikklasse übernahm, als damals einzige Frau in Deutschland in solch einer Position.

1929 übertrug man der damals 33-Jährigen die Leitung der frisch gegründeten Burg-Porzellanwerkstatt, die als künstlerisches Versuchslabor für die Industrie angedacht war. Handwerk und Kunst sollten – ganz im Sinne des Bauhaus – miteinander verschmelzen und

seriell produzierbar sein. Gleichzeitig begann die Kooperation mit der KPM. Günther von Pechmann beauftragte Marguerite Friedlaender ein modernes und zeitgemäßes Geschirr zu entwerfen. Bereits nach ein paar Monaten präsentierte sie die ersten Entwürfe des reinweißen, dekorlosen Kaffee- und Mokkaservices HALLE‘SCHE FORM. Besonders auffällig war dabei die zylindrische Kanne mit einer geraden Tülle.

In knapp zwei Jahren kam zur Reihe HALLE‘SCHE FORM ein Teeservice hinzu, so filigran, dass das Markenzeichen der KPM, das blaue Zepter, durch den Tassenboden hindurchschimmerte. Es folgten das Speiseservice „Burg Giebichenstein“, das Restaurantgeschirr „Hermes“ für den Flughafen Halle/Leipzig und zahlreiche Vasen-Serien, darunter ihre Vase HALLE – oben konisch, unten bauchig. Die Entwürfe von Friedlaenders „Flugzeugtasse“, bei der die Spiegelfläche in der Unterschale ausgeschnitten wird, damit die Tasse auch bei Turbulenzen einen sicheren Stand hat, entstand 1932 und wurde noch bis 1935 produziert.

Friedlaender entwarf auf der Grundlage von geometrischen Formen und geraden Linien. Wie eine Architektin setzte sie ihre Modelle zusammen. Dabei verleugnete sie aber nie ihre keramische Herkunft. Ihre Entwürfe wirken nicht konstruiert, sondern, wie bei der Drehtechnik üblich, aufgezogen.

KPM HALLE Vasen

In enger Gemeinschaftsarbeit mit der KPM änderte Friedlaender ihre Modelle und passte sie den Produktionsbedingungen für die serielle Herstellung an. Ihre Arbeit war wegweisend für die gesamte deutsche Porzellanindustrie. Ihr Werk wurde in der Weimarer Republik als Inbegriff innovativer, radikal sachlicher Gebrauchskeramik gelobt.

Doch trotz ihres Erfolges und Wirkens erreichte die Avantgardistin Friedlaender nie den Bekanntheitsgrad ihrer Kollegin Trude Petri, die zeitgleich als Porzellangestalterin bei der KPM beschäftigt war und kurz nach Friedlaenders „Hallescher Form“ das ebenfalls reinweiße und dekorlose Geschirr URBINO entwarf.

Das mag unter anderem daran liegen, dass Petris Modelle im Stil der Neuen Sachlichkeit teilweise noch radikaler waren. Zudem suchte Friedlaender nie die Öffentlichkeit: „Publizität, Ruhm und Rampenlicht sind so flüchtig wie Wolken, aber ein gutes Gefäß wird Jahrhunderte überdauern“, schrieb sie in ihrer 1973 erschienenen Autobiografie.

Wie schnell Ruhm vergehen kann, erfuhr Friedlaender 1933. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten fand ihre Karriere als Porzellandesignerin in Deutschland ein abruptes Ende. Als Jüdin wurde ihr vom Bürgermeister Halles persönlich ein Rücktritt von ihrer Dozententätigkeit an der Burg Giebichenstein nahegelegt. Mit ihrem Mann, dem Keramiker und Bauhaus-Schüler Franz Rudolf Wildenhain, ging sie in die Niederlande und eröffnete ein kleines, aber erfolgreiches Töpferstudio. 1940 emigrierte sie dann allein in die USA. Als sie kurz darauf von einem Vorstandsmitglied des Museum of Modern Art in New York eingeladen wurde, servierte der Butler Tee in ihrem eigenen KPM-Service – was außer Friedlaender niemand wusste.

Friedlaender zog später nach Kalifornien, unterrichtete an Colleges und schloss sich einer Künstlerkolonie an, die auf einer einsam gelegenen Farm arbeitete. Als ihr Mann ihr ein paar Jahre später in die USA folgte, zerbrach die Ehe schnell. Und auch die Künstlerkolonie fiel wenig später auseinander. Friedlaender blieb allein auf der Farm, bot dort im Sommer Kurse für junge Keramiker an – und genoss in der übrigen Zeit die Einsamkeit.

1985 starb sie im Alter von 89 Jahren – ohne Ruhm und Rampenlicht. Doch einige von Friedlaenders Entwürfen für die KPM wie die Vasen-Serie HALLE und ihr Mokkaservice HALLE‘SCHE FORM haben sie überlebt und werden noch heute produziert.

Die HALLE Vasen

Dieser Text erschien zuerst von Sandra Winkler in unserem 2. Kundenmagazin WEISS. Letzteres Bild stammt aus dem KPM Archiv.